Für Bindungsorientierte
Erziehung & Förderung

Reingelesen: Philippa Perrys Erziehungsbestseller

Reingelesen: Philippa Perrys Erziehungsbestseller

Beitragsbild: Lesetipp – Bestseller von Philippa Perry

Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen (und deine werden Kinder froh sein, wenn du es gelesen hast), Philippa Perry.


Das Buch von Philippa Perry, Mutter und seit 20 Jahren praktizierende Psychotherapeutin, ist ein ganz wunderbares Buch. Es eröffnet einen neuen Blick auf das Thema Erziehung: weg von Machtkämpfen und Druckmitteln, hin zu Mitgefühl und Kommunikation. Mit viel Praxisbezug, verständlichen Worten und Empathie für Kinder und Eltern gleichermaßen geht die Autorin der Frage nach: Wie können wir unser Kind nicht „nur“ lieben, sondern es wirklich mögen? Und echte Freude an der gemeinsamen Beziehung haben? Wir können dieses Buch allen Eltern, Kinderverantwortlichen oder denen, die es werden wollen, nur wärmstens empfehlen.

Be-ziehung statt Er-ziehung


Wie der Buchtitel unschwer erkennen lässt, geht es in dem britischen Nr.-1-Bestseller von Philippa Perry um das Thema Kindererziehung. Jedoch beleuchtet die Autorin das Thema von einer anderen Seite, als es in der meisten Literatur zum Thema der Fall ist.

Der Schwerpunkt des Buches liegt nicht auf der Vermittlung von Methoden, Kniffen oder Tricks, um ein „braves Kind“ zu bekommen. Streng genommen geht es nicht um Er- sondern und Beziehung. Die Autorin, selbst Mutter und seit 20 Jahren praktizierende Psychotherapeutin, schreibt davon, dass eine enge Bindung das Fundament für die Persönlichkeit eines Kindes legt. Und auch die Grundvorraussetzung für seine seelische Gesundheit ist. Und für Reife.

Perspektivwechsel – und alles wird leichter


Perry lädt zu einem Perspektivwechsel ein. Zu einer anderen Sicht auf das Kind. Und auf uns selbst. Immer wieder regt sie an, Situationen aus der Wahrnehmung des Kindes zu betrachten: sich in das Kind hineinzuversetzen und nachzuempfinden, was es erlebt und fühlt.

Diese veränderte Sicht führt laut Perry zu einer anderen Interpretation der Situation, der kindlichen Motive und Verhaltensweisen. Und in der Folge quasi „automatisch“ zu mehr Geduld, Mitgefühl und Empathie. Hierdurch ist es für Eltern und Bezugspersonen leichter, in Verbindung zum Kind zu bleiben. Diese Verbindung bildet nach Philippa Perry die Grundlage und Voraussetzung für eine genussvolle Eltern-Kind-Beziehung: ohne Angst, Druck, Machtkämpfe und alle begleitenden Kollateralschäden.

Das Gefühl macht die Musik


Besonders die Gefühle spielen aus Perrys Sicht für die Beziehungsqualität eine wichtige Rolle. Sie sollten Raum haben, ausgedrückt werden zu können. Und von uns Eltern in mitfühlender Art und Weise begleitet werden.

Die Gefühle unserer Kinder drücken sich in ihrem Verhalten aus. Demnach ist jedes Verhalten des Kindes eine Art der Kommunikation mit uns über ihr Innenerleben. Philippa Perry lädt Eltern und Kinderverantwortliche ein, hinter das Verhalten eines Kindes zu schauen. Und zu überlegen, was das Kind hinter der sichtbaren Verhaltensäußerung wirklich bewegt und erlebt.

Die eigene Vergangenheit


Damit wir als Erwachsene hierzu fähig sind bzw. wieder werden, ist gemäß Perry eine Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und Kindheit essenziell. Denn das, was uns im Alltag mit unseren Kindern oftmals den Nerv raubt und uns zu Kurzschlusshandlungen verleitet, hat nach Perry ihre Ursachen in unseren eigenen kindlichen (Ver-)Prägungen und Erfahrungen.

So beginnt das Buch auch eher untypisch mit dem Kapitel „Ihr Elterliches Erbe“. Bereits hier legt Philippa Perry das Grundverständnis, welches sich wie ein roter Faden durch das Buch und ihre Argumentation zieht: Eine erfüllende Eltern-Kind-Beziehung beginnt, steht und fällt mit den Eltern (bzw. Bezugspersonen). Wir sind es, die unsere Kinder prägen. Und zwar in erster Linie durch unser Tun und Sein, nicht so sehr durch unsere Worte.

Es ist nie zu spät !


Hierbei gelingt es Perry immer wieder gut, die Ernsthaftigkeit des Themas und die Konsequenzen unseres Verhaltens für unsere Kinder zu vermitteln. Und gleichzeitig jeder Art von Verurteilung, Scham und Verzweiflung von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nach Philippa Perry gibt es keine „guten“ oder „bösen“ Kinder. Und auch keine „guten“ oder „schlechten“ Eltern. Diese moralisierenden Bewertungen lehnt die Autorin als wenig hilfreich ab.

Stattdessen sensibilisiert sie für die emotionalen kindlichen wie elterlichen Bedürfnisse,  die für ein gesundes Heranwachsen und Zusammenleben essenziell sind. In diesem Licht erweisen sich dann manche Methoden und Verhaltensweisen als hilfreich. Andere als kontraproduktiv oder zerstörerisch. Dabei ermutigt Perry die Leser wiederholt mit der Botschaft:

Egal, was vielleicht bis hierhin schief lief: Es ist nie zu spät, die Beziehung zum Kind wieder herzustellen, eventuelle seelische Wunden zu heilen und ein erfülltes Leben zu führen. Weder fürs Kind, noch für uns Eltern.

Aus der Erfolgs- und Misserfolgspraxis


Statt in Fachbegriffen oder wissenschaftstheoretischen Zusammenhängen zu verharren, wählt Philippa Perry eine klare, alltagsnahe Sprache und ebensolche Beispiele, ohne an Tiefe einzubüßen. Jedes Kapitel ist gespickt von zahlreichen Praxisbeispielen aus dem beruflichen wie privaten Umfeld der Autorin. Hierdurch werden die zuvor beschriebenen bindungspsychologischen Zusammenhänge veranschaulicht und ins praktische Leben überführt.

Perry lässt die Lesenden hierbei sowohl an Erfolgen als auch Misserfolgen teilhaben und leitet praktische Hilfestellungen für den eigenen Alltag ab. Ein besonderes Augenmerk widmet die Autorin hierbei dem Thema Kommunikation, auf das sie in unterschiedlichen Facetten eingeht. Perry deckt kontraproduktive und trennende Sprachmuster des Alltags auf. Und liefert hilfreiche Anregungen für eine entwicklungs- und bindungsfördernde Sprache.

Vom Kopf ins Herz


Überaus hilfreich für die persönliche Reflexion und Vertiefung sind die praktischen Übungen am Ende eines jeden Kapitels. Diese helfen enorm dabei, das Gelesene in Erinnerung zu behalten. Und das Wissen „vom Kopf ins Herz rutschen“ zu lassen. Philippa Perry liefert so praxistaugliche Impulse und Handlungsempfehlungen für den Familienalltag, ohne in rezeptartige Erziehungstechniken oder Pauschalmethoden zu verfallen.

Die Praxisorientierung zeigt sich auch an den zahlreichen Unterkapiteln. Diese reichen von der Geburtsplanung über postnatale Depressionen, Schlafen und Spielen bis hin zu Wutanfällen, Grenzen setzen, Trennungssituationen und Pubertät.

Im Jetzt sein


Als ausgesprochen wertvoll empfanden wir die Ausführungen der Autorin zum Thema „Im Jetzt sein“. Perry beschreibt eindrücklich, wie wir uns, insbesondere in den westlichen Kulturkreisen, als Erwachsene gedanklich zumeist im „Nachher“„Morgen“/„Später“ bewegen. Dies führt laut Philippa Perry dazu, dass wir oftmals wenig Verständnis und Geduld mit unseren Kindern haben, wenn diese nicht so schnell spuren, wie wir uns das vorgestellt hatten.

In Sachen Erziehung (ver-)führt uns das „Leben im Morgen“ dazu, unser pädagogisches Verhalten nicht an dem aktuellen Reifestand des Kindes auszurichten, sondern an einem gewünschten (künftigen) Idealbild. Dadurch übergehen wir allzu oft das natürliche Reifetempo des Kindes und dessen Impulse. Und blockieren so ungewollt die echte Reife von innen.

Unser Fazit: Ein Buch, das auch wir schreiben würden


Philippa Perry schafft unser Ansicht nach einen exzellenten Einblick in die bindungsorientierte Erziehung. Sie behandelt viele Themen, welche die meisten Eltern im Alltag wirklich bewegen und herausfordern. Daher ist das Buch sehr praxistauglich und hilfreich für den Familienalltag, ohne schematisch zu werden. 

Insbesondere die Betonung der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit gefällt uns sehr gut. Auch wir halten es für fundamental wichtig, dass man sich mit der eigenen Geschichte, Prägung und vor allem der eigenen Erziehung auseinandersetzt. Und wir sind froh und dankbar, dass Philippa Perry dieses Thema ganz bewusst an den Anfang des Buches stellt.

Auch die Botschaft, dass es kein „zu spät“ gibt, erleben wir als extrem wichtig und heilsam. Sowohl im privaten wie auch im beruflichen Erziehungskontext. Jede Bindung kann wieder aufgebaut werden und jeder Entwicklungsschritt der Reife nachgeholt werden! Wie schön, dass auch die Autorin diesen Aspekt in ihrem Buch immer wieder anspricht. Es ist jederzeit möglich, sein Verhalten zu ändern und entstandene Brüche in der Beziehung zum Kind zu reparieren. Was für eine wunderbare Nachricht!

Wenn es ein Buch gäbe, das wir schreiben würden, käme es diesem von Philippa Perry sehr nah. Klare Leseempfehlung!

Das Buch gibts u.a. hier zu kaufen: https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/ID145942546.html

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Mario
Motzkuhn
Mario ist geisteswissenschaftlich ausgebildet und im bindungsorientierten Erziehungsansatz nach Prof. Dr. Gordon Neufeld / Neufeldinstitut Deutschland geschult. Durch seine langjährige Tätigkeit in der Seminar- und Jugendarbeit eines gemeinnützigen Schulungszentrums hat er praxiserprobte Erfahrung im Coaching von Einzelpersonen und Gruppen im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung. Zudem ist er als qualifizierte Tagespflegeperson ausgebildet. Seit vielen Jahren beschäftigt sich Mario eingehend mit diversen Erkenntnissen aus Pädagogik, Psychologie, Entwicklungs-, Gehirn- und Motivationsforschung. Er ist glücklich verheiratet und stolzer Vater von drei Kindern.